Dokumentation „Beteiligung und Mitbestimmung in der digitalen Welt“

Beteiligung und Mitbestimmung in der digitalen Welt

Dokumentation der zweiten Konferenz im Rahmen des INQA-Projekts „WING“ am 6. April 2016 in Frankfurt am Main

Autorin: Dr. Jutta Witte

Auf Einladung der IG Metall sind am 6. April 2016 rund 160 Betriebsräte, Vertrauensleute, Gewerkschafter, Wissenschaftler und Experten aus Wirtschaft und Politik in Frankfurt am Main zur zweiten Transferkonferenz des INQA-Projekts „WING – Wissensarbeit im Unternehmen der Zukunft nachhaltig gestalten“ zusammengekommen. Im Fokus der Veranstaltung stand der grundlegende Wandel von wissensintensiven Tätigkeiten im Zuge der digitalen Transformation, die damit verbundenen Herausforderungen für Beteiligung und Mitbestimmung sowie Optionen und Instrumente für eine zukunftsweisende und menschengerechte Gestaltung der digitalen Arbeitswelt. Nach der Begrüßung durch Christoph Ehlscheid, Funktionsbereichleiter Sozialpolitik beim Vorstand der IG Metall und Kristian Tangermann, Referent für „Gute Arbeit, Human-Resource Strategien und altersgerechtes Arbeiten“ im BMAS, analysierte IG Metall-Vorstand PD Dr. Hans-Jürgen Urban die Situation der Wissensarbeiter im Spannungsfeld von Deregulierung und Demokratisierung. PD Dr. Andreas Boes, Vorstandsmitglied des Instituts für Sozialwissenschaftliche Forschung, präsentierte gemeinsam mit dem GBR-Vorsitzenden der Robert Bosch GmbH, Alfred Löckle, das Bosch-Laboratorium „Arbeitswelt der Zukunft“. Erfahrene Praktiker erläuterten ihre Good Practice Beispiele für eine beteiligungsorientierte Gestaltung agiler Arbeit. Mit den Potenzialen, Risiken und Grenzen neuer Beteilgungsformen setzte sich zum Abschluss ein hochrangig besetztes Podium auseinander.

Wir haben erste Eindrücke und Ergebnisse der Konferenz sowie weiter führende Informationen für Sie zusammengestellt.

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Keynote: Wissensarbeit zwischen Deregulierung und Demokratisierung

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Hans-Jürgen Urban, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall

Nach Überzeugung von Hans-Jürgen Urban bedeutet Mitbestimmung auch im digitalen Zeitalter die verbindliche Festschreibung der Rechte von Beschäftigten, darüber hinaus aber auch die Verknüpfung kollektiver Mitbestimmung mit individueller Partizipation und die Schaffung von Regeln für gute Arbeit, die eingebettet sind in eine gesamtgesellschaftliche Reformagenda. „Die Ausgestaltung einer Mitbestimmung 4.0 umfasst alle Ebenen eines Unternehmens“, betont der Gewerkschafter. Crowdworking, Cyber-Physische-Systeme und neue Formen mobiler Arbeit sind für ihn die derzeit sichtbarsten Folgen der Digitalisierung. In seiner Keynote erläutert er die offenen Baustellen bei der Gestaltung von Wissensarbeit im agilen Unternehmen. Darüber hinaus setzt er sich mit dem Konzept des demokratischen Unternehmens auseinander – für ihn eine „Utopie, die viel Diskussionsbedarf mit sich bringt“: Um zu vermeiden, dass agile beziehungsweise demokratische Unternehmen durch den Abbau bestehender Schutzregelungen eine neue Welle der Deregulierung mit sich bringen, ist nach seiner Überzeugung eine Reformagenda 4.0 notwendig, welche die humanisierenden Potenziale solcher Unternehmen fördert.

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Bosch-Laboratorium „Arbeitswelt der Zukunft“: Agile Organisation beteiligungsorientiert gestalten

PD Dr. Andreas Boes, Wing-Projektkoordinator und Vorstandsmitglied des ISF München

Alfred Löckle, Gesamtbetriebsrats-Vorsitzender der Robert Bosch GmbH


Die Zukunft der Arbeit wird in den Unternehmen gemacht. Hiervon sind Andreas Boes und Alfred Löckle überzeugt. Um die digitale Arbeitswelt im Dialog zwischen den Sozialpartnern gestalten zu können, braucht es aber „ergebnisoffene Experimentierräume“ statt ausgelagerter „Sonderwirtschaftszonen“. Sie sollen Beschäftigten und Führungskräften in Kooperation mit den Betriebsräten ermöglichen, neue Formen der Wissensarbeit zu erproben, die das agile Unternehmen der Zukunft prägen werden – nah an der Praxis, beteiligungsorientiert, schrittweise und vor allem nachhaltig. Das Bosch-Laboratorium „Arbeit der Zukunft“ ist ein solcher Experimentierraum. Kerngedanke ist, von Vorreiterteams ausgehend und unter wissenschaftlicher Begleitung Good Practices für agiles Arbeiten zu erproben und unternehmensweit zur Verfügung zu stellen. Wie das Laboratorium funktioniert und welche Gestaltungsfelder es bearbeitet erklären die beiden Experten in ihrem Vortrag.

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Speakers Corner: Praxisbeispiele für Beteiligung

Experten aus Beratung und Weiterbildung, Gewerkschaft und Betriebsratsarbeit stellen in der „Speakers Corner“ ihre Erfahrungen, Ideen und Konzepte für die Förderung von Beteiligung und die Organisation moderner Wissensarbeit zur Diskussion. Schwerpunktthemen sind dabei Scrum mit seinen Prinzipien, Akteuren und zentralen Leitidee des „Empowerments“, neue Anforderungen an die Qualifikation von Kopfarbeitern, Erfolgsfaktoren für eine beteiligungsorientierte Interessensvertretung und einen gelingenden Dialog zwischen hochqualifizierten Wissensarbeitern und Betriebsrat sowie der „Nachhaltigkeitscheck“ der IG Metall als Beispiel für ein Instrument, mit dem Gewerkschaften Beschäftigte, Führungskräfte und Betriebsräte bei der Gestaltung der sich wandelnden Arbeitswelt unterstützen können.

Zur Präsentation von Matthias Grund (andrena objects ag): Gestaltungsoptionen Empowerment (PDF)

Zur Präsentation von Sebastian Lülsdorf (Lenze Automation GmbH): Beteiligung für den Tarif bei Lenze Automation (PDF)

Zur Präsentation von Helmut Meyer (Robert Bosch GmbH): Beteiligung Zusammenarbeit zwischen Beschäftigten und Betriebsrat (PDF)

Zur Präsentation von Lion Salomon (IG Metall Vorstand): Der Nachhaltigkeitscheck. Ein Workshopkonzept zur Gestaltung Wissensarbeit (PDF)

Podiumsdiskussion: Potenziale und Grenzen von Beteiligungsprozessen und Anforderungen an die Akteure

PD Dr. Andreas Boes, Wing-Projektkoordinator und Vorstandsmitglied des ISF München

Alfred Löckle, Gesamtbetriebsrats-Vorsitzender der Robert Bosch GmbH

Hans-Jürgen Urban, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall

Jens Wagner, Vice President Human Ressources, Chassis Systems Control, Robert Bosch GmbH

Die Frage, wie Unternehmen und Interessensvertretungen mit den zunehmenden psychischen Belastungen von Wissensarbeitern umgehen, entscheidet mit über eine nachhaltige und gesundheitsbewusste Gestaltung der digitalen Arbeitswelt. So kann Beteiligung zu einer menschengerechten Arbeitsgestaltung beitragen, wenn auch Leistungs- und Personalpolitik Gegenstand von Aushandlungsprozessen zwischen Unternehmen, Beschäftigten und Interessenvertretung sind.

Die Podiumsteilnehmer waren sich einig, dass bewährte Arbeitsschutz-Standards wie die elfstündige Ruhezeit oder die tägliche Arbeitszeit von acht Stunden trotz der tiefgreifenden Umwälzungen in der Wirtschaft nicht zur Disposition stehen. Unter der Moderation von Ferdije Rrecaj diskutierten sie nicht nur über mögliche Strategien im Umgang mit Belastungssituationen in agilen Teams, sondern erörterten auch welche Herausforderungen die Zusammenarbeit mit empowerten Mitarbeitern für Betriebsräte und Führungskräfte mit sich bringt, wie Personalstrategien und -organisation sich in agilen Unternehmen wandeln müssen und wie die Regeln der Mitbestimmung und Beteiligung an die neue Zeit angepasst werden können.

Zitat Andreas Boes: „Agile Methoden können Belastungen abbauen. Sie können sie aber auch in die Höhe treiben. Entscheidend ist das Empowerment, damit Beschäftigte ihre Arbeit selbst organisieren und Belastungen regulieren können.“

Zitat Alfred Löckle: „Die im Arbeitsschutzrecht festgeschriebenen Schutznormen sollten wir nicht in Frage stellen. Aber wir sollten uns auch der Diskussion über Anpassungen, die mit der digitalen Transformation vielleicht notwendig werden, stellen.“

Zitat Hans-Jürgen Urban: „Wenn wir zumutbare Arbeits- und Leistungsbedingungen schaffen wollen, brauchen wir ein Zusammenspiel zwischen kollektiven, vertraglich festgeschriebenen Regelungen und individuellen Beteiligungsmöglichkeiten.“

Zitat Jens Wagner: „Digitalisierung steht auch für eine neue Haltung von Menschen. Als lebendiges Unternehmen müssen wir also dafür sorgen, dass wir in einem heiß umkämpften Fachkräftemarkt für diese Menschen attraktiv bleiben.“